Eintauchen ins Lachmeer

WALTRAUD SCHWAB überwindet sich und lacht sich ins Fäustchen

von Waltraud Schwab


erschienen in der TAZ Berlin lokal Nr. 7301 vom 5.3.2004, S.23

 

Rechts vom Hofeingang in der Karl-Marx-Straße 58 ist ein Perückengeschäft. Perfekte Langhaarfrisuren in Schwarz, Locken in Rotblond, Bubiköpfe in Kastanienbraun - hier wird makellose Schönheit geboten. Die Haarteile umspielen das immer gleiche, traurige Gesicht einer bleichen Büste.

Um der Schaufenstertristesse, die also auch eine Straßentrübsal, um nicht zu sagen eine Neukölln-Trostlosigkeit oder gar eine Berlin-Traurigkeit ist, etwas entgegenzusetzen, wird im Hinterhof des Perückenladens einmal im Monat eine Lach- und Tanzparty geboten. Denn Lachen ist die beste Medizin.

Es bedurfte einer langen Reise über Indien und dessen Yoga, bis die Bedeutung dieses geflügelten Worts auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft und als Heilslehre, die den Menschen entspannt, glücklich macht, verjüngt, erdet, auch in Westeuropa wieder unter die Leute gebracht wurde. Indien-erfahrene LachtherapeutInnen, die eine Ausbildung beim renommierten Lachguru Madan Kataria gemacht haben, bieten endlich bei uns ihre unbezahlbare Lachassistenz an. Zugegebenermaßen auch mir.

Die abgetretenen Stufen des Treppenhauses, das zum "Studio 58" im dritten Stock des Quergebäudes im Hinterhof führt, lassen nicht ahnen, welche Humoroase sich dort verbirgt. Da jedoch andere Leute, denen die Überwindung der Lachentsagung bereits ein verschmitztes Verschwörungslächeln aufs Gesicht zaubert, dasselbe Ziel ansteuern, wird Schwellenangst minimiert.

Lächelnd werden die LachaspirantInnen begrüßt und zur Auflockerung zum Tanzen aufgefordert. Niemand ziert sich. Frauen, denen die Last ihres Tagwerks den Rücken beugt, wiegen sich zu südamerikanischen Rhythmen neben irritierten Blondinen und weißbärtigen Männern im Takt.

Auf diese Weise aufgewärmt, greift die Lachtrainerin ein. Wir sollen den anderen die Hand geben. Lachend wohlgemerkt. Es mache nichts, wenn es künstlich ist. Brav gehorchen wir, schütteln Hände, grinsen uns an, kräuseln die Nasen, öffnen die Münder, verschicken Gluckslaute, die Glückslaute sein sollen, sagen "hahaha" und "hohoho" und "hahahohoho".

Damit uns das gespielte Lachen leicht fällt, bittet uns die Trainerin, allerhand Spielereien zu machen. Wir sollen uns wortwörtlich "ins Fäustchen lachen". Wir sollen uns die Hände auf die Brust legen und sie anschließend lachend wieder ausbreiten. Auch Tigerlachen, Clownslachen, Über-sich-selber-Lachen stehen auf dem Programm. Wir tun es. Von Kichern bis Brüllen ist alles erlaubt, denn die Hürde zwischen künstlich und echt will genommen sein. Es gibt, das wird deutlich, Leute unter uns, die nichts zu lachen haben und dennoch lachen. Es gibt welche, die zuletzt und damit am besten lachen, und es gibt welche, die andere mit ihrem Lachen anstecken. Dazwischen wird getanzt.

Alles führt hin zur hohen Schule des Lachens. Auf dem Boden liegend sollen wir warten, bis es von allein kommt. "Das ist zu viel", denke ich, "nichts wird passieren." Ich starre gegen die weiß getünchte Wand und warte. Hinten in einer Ecke wird gekichert, bei mir stellt sich Ernüchterung ein. Da wage ich einen Blick auf den Mann rechts neben mir. Wie eingefroren liegt er da. Ich wage einen Blick auf das Gesicht der Frau links von mir. Auf ihrem Gesicht liegt ein Lächeln. Es reicht. Es reicht, um mich zum Lachen zu bringen. Ich lache wie blöd. Ich lache Tränen. Ich kugle mich vor Lachen, ich schreie vor Lachen. Ich stecke die anderen an. Die stecken mich an. Das Lachen kommt in Wellen, steigt langsam an, ebbt ab, steigt wieder an und ebbt ab. Ich tauche in ein endloses Lachmeer.

 

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